Der Neffe

Geschichte von Alexander Roda Roda

Als wir gerade umgezogen waren, in ein kleines Städtchen und vollends eingerichtet, da sagte meine Frau: »Schau nur, wie gemütlich es bei uns ist, alles blitzblank, so habe ich es mir schon lange gewünscht – oh, du legst deine angebrannte Zigarette in den Aschenbecher und ich hatte ihn doch eben erst auf Hochglanz poliert. Ich war der Gasthöfe und der Pensionen so überdrüssig, weil es da nie richtig sauber war. Du hast dich auch immer sehr gehen lassen. Alle Männer haben die Neigung dazu, aber jetzt – nicht wahr – du tust es mir zuliebe? Wirst du dich zusammennehmen, damit die Möbel geschont werden. Wenn da ein Fleck in den Bezug kommt oder ein Kratzer in die Politur, das lässt sich nie wieder gutmachen – und dass sich mein Traum vom eigenen Heim gerade zu Weihnachten erfüllt, nehme ich als gnädige Himmelsgnade. Zu Weihnachten muss man allein mit dem Christkind sein, fromm mit allen seinen Gedanken beim Fest – im Zimmer nebenan ist der Baum geschmückt – nun haben wir glücklich, was du immer wolltest: Wir werden endlich unsere Ruhe haben! Die nächsten Verwandten wohnen sehr weit, das ist ein unschätzbarer Vorzug!« Sie hatte es kaum gesagt, da meldete sich für den Abend unser Neffe bei uns an; eigentlich kein Neffe, sondern der Sohn eines geschiedenen Schwagers aus dessen zweiter Ehe. Wir kannten den Neffen nicht persönlich, hatten ihn nie gesehen, er schrieb aber gleich: Er teile keineswegs die unüberwindliche Abneigung seines Vaters gegen unsere Familie, im Gegenteil, er habe uns recht gern, und da er soeben höre, dass wir jetzt hier wohnten, sicherlich noch ohne Anschluss, könne er es nicht übers Herz bringen, dass wir die erste Weihnacht einsam verbringen sollten. Darum werde er kommen bei Anbruch der Dunkelheit und bringe uns als Einstand zwei Flaschen Schnaps mit, selbst gekeltert.

»Gott, o Gott«, rief meine Frau, »ein Geschenk bringt er auch – was bleibt uns übrig, wir werden ihn widerbeschenken müssen – wo nehme ich jetzt etwas Passendes her? Sicherlich sind alle Läden schon längst geschlossen …! Abgesehen davon, dass ich kein Geld mehr habe.« »Schatz! Kein Geld? Du müsstest doch noch die Hunderternote haben?« Sie fiel mir um den Hals, deutlich hingen zwei Tränen in ihren Augen: »Ich wollte dich mit allerhand Dingen überraschen, die Hunderternote ist dahin. Was tun? Ich werde den wunderschönen Schlafrock dem Neffen schenken müssen.« In diesem Augenblick klingelte es draußen, das Mädchen ging öffnen. Wir hatten ein Schaukelpferd gekauft, das stand im Flur. Wir wollten es dem Jungen unseres Hauswirts schenken, um uns mit den Leuten gut zu stellen, mit denen wir einen dreijährigen Mietvertrag haben. Da sprang die Tür auf und herein galoppierte auf dem Schaukelpferd ein Ungeheuer von Mann, groß und dick: unser Neffe Pichler! Arnold Pichler, der gewaltigste Neffe, den ich je gesehen habe, sehr lustig, mit breitem Lachen und einem koketten Hütchen darüber, in jedem Arm eine Flasche von dem versprochenen Schnaps; an den Beinen, das Schaukelpferd war geschickt dazwischen geklemmt, trug der Neffe kurze Lederhosen, borstige Knie und genagelte Stiefel weiter unten, die waren dreckig, überaus dreckig! Wir mögen entschuldigen, der liebe Onkel und die liebe Tant’, aber als Förster habe der Neffe auch heute Dienst gehabt im Wald. Das könne man nicht im Abendanzug- und das Wetter richtet sich ebensowenig nach den festlichen Gelegenheiten, »wo es in den letzten Wochen so viel geregnet hat«. Er hatte alles im Dialekt hervorgesprudelt. Meine Frau verstand nicht alles, aber ich sah ihr an, den Sinn hatte sie begriffen. »Nehmen Sie Platz, Herr Pichler!«, sagte sie gefasst. Das Mädchen war gleich mit einem Lappen erschienen, um die Spuren vom Parkettboden zu wischen, und brachte das Schaukelpferd wieder hinaus; es bestand jetzt aus zwei nicht zusammenhängenden Teilen, einer schlittenförmigen Schaukel nämlich und dem Pferd. »Haha«, rief der Neffe aufgeräumt, »mit dem Aufwischen warten S’, bis dass der Dago da ist« (er öffnete die Tür); »weil mein Hunderl is auch net gar salonfähig. Er ist seit heute früh mit mir in die Sümpfe herumgewatet.

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Nein, nein, danke schön, gegessen haben wir schon im Wirtshaus – ich werd’ doch net hungrig ins Haus fallen zum erschtenmal bei liebe Verwandte – Grammelknödel hab ich gegessen, delikat, und ‘s Hunderl einen Ochsenschlepp, ganz frisch. Der Wirt hat eben geschlachtet gehabt – sehen S’, dem Hunderl hängt der Speichel noch blaublutig aus dem Maul. Ein sehr gutes Viecherl; mein Dago, nur schlaft er gern warm und bequem. Aber … «, der Neffe lachte herzlich, »… die Frau Tant’ braucht sich net zu fürchten, das Hunderl tut nix.« Damit hatte der Neffe offenbar Recht, Dago sprang auf das Sofa, drehte sich einige Male um seine Achse und legte sich hin; aus dem Maul, von den Pfoten rieselte es still in den Brokat. Der Neffe saß im Lehnstuhl an meinem Arbeitstisch und staunte: »Nein, was der Onkel alles für Sachen braucht um Schreiben!« Der Neffe lehnte sich zurück, dass der Sessel in allen Fugen stöhnte – der Neffe lachte stürmisch, lehnte sich weiter zurück, bis der Sessel nunmehr auf einem Bein balancierte. »Eine Füllfeder.« Er spießte sie probeweise ins Eichenholz des Schreibtisches. »Ein Tintenfass!« Er hantierte damit und stellte es schief, zum Umkippen schief wieder hin. »Ein Lineal.« Er bog es bis zur Elastizitätsgrenze. »Eine Weckuhr.« Er spielte damit und ließ sie schnarren. »Ein Lexikon.« Er holte die siebzehn bunten Beilagen mit einem Griff heraus und schob sie mit einem Griff verkehrt wieder hinein. »Wann ich mir den Herrn Onkel so vorstell’ hier beim Schreiben – und am End’ in einem Schlafrock. Direkt zum Bersten.« Meine Frau und ich wechselten bekümmerte Blicke. »Ich glaube«, raunte sie, »wir sollten Bescherung machen und essen.« Da machte uns ein Würgen und Schmatzen vom Sofa her aufmerksam auf Dago. »Ja, schauen S’ nur hin«, prustete äußerst fröhlich der Neffe und schlug sich wuchtig auf die Schenkel, »muss das Viecherl heimlich in die Küche hinausgeschlupft sein, hat den Braten gestohlen und frisst ihn auf dem schönen Kanapee. So ein schlaues Viecherl! War das der Braten für heut Abend?« »Nein«, sagte meine Frau still, »für morgen. Heute gibt es Fisch.« Der Neffe« darauf: »Uje, Fisch! Mögen Sie das scheußliche Zeug?« Meine Frau hatte es überhört, sie war schon im Nebenzimmer, wo sie die Kerzen am Christbaum anzündete.

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»Wird der Herr Onkel hier wohnen bleiben? Ich komm’ täglich in die Stadt, so gegen Abend, da werd’ ich dem Herrn Onkel und der Frau Tant’ täglich Gesellschaft leisten.
Nur samstags geht’s leider nicht, da muss ich die Waldarbeiter … Oha, was war denn jetzt? Es klingelt?« »Meine Frau ruft uns zur Bescherung!« »Warten S’, warten S’«, schrie Arnold Pichler und sprang auf, »ich hab was mitgebracht für das Hunderl, ein Geschenk, das muss noch an den Christbaum. Hat der Herr Onkel eine Schnur, aber eine recht starke? Sie werden einen Spaß haben. Da!« Er riss die Vorhangleine vom Fenster, holte eine spannenlange Wurst aus der Hosentasche und band sie an die Leine. »Man muss die Wurst fest an den Baum binden, dass das Hunderl sie nicht abkriegt – das is der Gspaß.« Und schon war er mit zwei Sprüngen im Nebenzimmer. Dann ging alles rascher, als man erzählen kann: Die Tür öffnete sich, der Baum strahlte. Dago hatte den Braten verschlungen, kam schleichend wie ein Tiger vom Sofa herab und nahm Wind von der neuen Beute. Mit einem Satz war er an der Wurst. Mit einem Happ verbiss er sich darin. Riss den Baum um und schleifte ihn mit brennenden Kerzen durch die Wohnung. Ins Arbeitszimmer, an den Speisetisch. Durch die Schlafstube auf den Flur, zurück an das Sofa. Der Vorhang im Arbeitszimmer brannte, das Sofa, der Lehnstuhl. In der Schlafstube brannten das Bett, der Wäschekorb, die Vorhänge. »Hilfe! Feuer!«, schrie das Mädchen vom Küchenbalkon ins Weite. »Sie blöde Urschel, was schrein S’ denn?«, sagte der Neffe – prügelte den Hund, entriss ihm den Weihnachtsbaum – flog – fegte – schoss – stürzte durch die Wohnung und überall, wirklich heroisch, erstickte er mit bloßen Pranken das Feuer. »Uff!«, atmete meine Frau auf, »es scheint alles vorüber zu sein. Nur der beißende Rauch muss noch hinaus – dann können wir essen.« Sie öffnete die Fenster. Ich sah deutlich: Sie weinte. »Tragen Sie auf«, gebot sie in der Küche und wir setzten uns. »Ah, gebackener Karpfen«, sprach Arnold Pichler gedehnt. »Ess ich ganz gern. Das heißt: Ich ess ihn net gern, aber ich ess ihn halt. Er hatte das Messer gezückt, um seinen Fisch zu zerlegen, stemmte die Faust mit dem Messer senkrecht auf und horchte. Sein scharfes Jägerohr hatte seltsame Geräusche vernommen. Und das Ohr trog ihn nicht. Es rasselte draußen, es hielt und rollte, ein Trompetenstoß, es knirschte, schlug an die Hauswand. »Hallo!«, hörte man. »Hier qualmt es heraus – da muss es sein.« Etwas kam die Leiter emporgeklettert.

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Plötzlich ein Helm im Fenster, ein uniformierter Mann mit Gummischlauch. Ich erkannte ihn sofort: Hilfskantor, Obersteiger der freiwilligen Feuerwehr. Schon kam ein dicker Strahl Wasser aus dem Schlauch, meiner Frau gerade in den Halsausschnitt. Schon turnte durchs andere Fenster Herr Silber herein mit einer Spitzhacke: Getreidemakler, Vizepräsident der Feuerwehr. Mächtig schwang er die Hacke und schlug in die Möbel. Durch das dritte Fenster kam Herr Schlammbeißer, äußerst erregt: »Rette sich, wer kann!« – Innerhalb einer Minute, dank der vorzüglichen neuen Spritze, stand das Wasser kniehoch in unserer Wohnung – dreißig Hektoliter, man hat es später berechnet. Das Sofa schwamm darin wie ein Boot. Dago nahm die Gelegenheit wahr zu baden und sprang kopfüber in die Flut. Er paddelte dem Sofa nach, kletterte wieder empor und schüttelte sich lustig das Wasser aus dem Gefieder. »Ein sehr reinlicher Hund«, sagte der Neffe bewundernd, »was sind wir Menschen gegen so ein Viecherl.«
… Hier ferner zu bleiben, daran war nicht zu denken. Wir zogen noch am selben Abend in den Gasthof.

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